Strafverfahren der Europäischen Staatsanwaltschaft
Seit Juni 2021 gibt es in Hamburg nicht nur die Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft, sondern auch eine sog. Delegierte Europäische Staatsanwaltschaft. Die Europäische Staatsanwaltschaft (EUStA) oder European Public Prosecutor’s Office (EPPO) ist eine unabhängige EU-Staatsanwaltschaft, deren Ziel es ist, Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der EU — etwa Betrug, Korruption, Geldwäsche oder grenzüberschreitenden Mehrwertsteuerbetrug — effektiv zu verfolgen.
Grenzüberschreitende Kriminalität auf EU-Ebene einheitlich und zentralisiert zu verfolgen, ist kein neues Anliegen. Seit 1999 gibt es bereits das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF), eine Ermittlungs- und Kontrollbehörde, die vor allem Betrug gegen EU-Budget aufdeckt, aber keine Strafverfolgung betreibt. Auch Eurojust, eine Behörde der Europäischen Union mit Sitz in Den Haag, gibt es seit 2002 und spielt in grenzüberschreitenden Strafverfahren immer wieder eine Rolle. Die Hauptaufgaben von Eurojust umfassen die Unterstützung bei der Ausführung europäischer Haftbefehle, die Koordination gemeinsamer Ermittlungen und den Austausch von Informationen und Beweismitteln. Eurojust agiert als Vermittler zwischen nationalen Behörden, unterstützt operative Maßnahmen, wie gemeinsame Aktionstage und die Bildung gemeinsamer Ermittlungsgruppen, sog. Joint Investigation Teams (JITs).
Neben dieser reinen Ermittlungskoordination durch Eurojust und dem administrativem Betrugsmonitoring durch OLAF wurde vor bald fünf Jahren die EUStA als supranationale Staatsanwaltschaft der EU geschaffen, die eigene Ermittlungs- und Anklagebefugnisse hat. Die rechtlichen Regelungen finden sich in der sog. EUStA-Verordnung (EUStA-VO). Zusätzlich regelt das nationale Europäische-Staatsanwaltschaft-Gesetz (EUStAG) in Deutschland die Durchführung und Zusammenarbeit der Delegierten Europäischen Staatsanwälte.
Der Europäischen Staatsanwaltschaft hat bspw. auch die Befugnis, Ermittlungsmaßnahmen wie Hausdurchsuchungen, Durchsuchungen von persönlichen Gegenständen und Computersystemen zu beantragen und die Herausgabe von Gegenständen und Schriftstücken und von Computerdaten, Bankkontodaten sowie die Sicherstellung von Tatwerkzeugen oder Erträgen aus Straftaten, die Überwachung der Kommunikation und eine Verfolgung und Ortung zu erwirken. Die Ermittlungen werden grundsätzlich nach den einschlägigen nationalen Verfahrensvorschriften geführt, soweit die EUStA-VO keine eigenen Regelungen enthält. In der EUStA-VO sind Verteidigungs- und Beschuldigtenrechte an verschiedenen Stellen erwähnt (Erwägungsgrund 80, 83, 84, 85; Art. 41 EUStVO). Aufgrund des Hinweises auf die Umsetzung in nationales Recht (Art. 41 EuStA-VO) sind die Verfahrensrechte jedoch nur insofern garantiert, wie sie in nationales Recht Niederschlag gefunden haben.
Da es um grenzüberschreitende Sachverhalte geht und die nationale Rechtslage in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten sich unterscheidet, führt dies – erwartbar – zu Friktionen. Der EuGH hatte in seiner ersten Entscheidung dazu vom 21.12.2023 (Az. C-281/22) über die Frage, inwieweit Gerichte des Mitgliedstaats, in dem eine Ermittlungsmaßnahme der EUStA vollstreckt wurde (ausführender Staat), diese Maßnahme materiell überprüfen dürfen, wenn die Maßnahme vom Delegierten Europäischen Staatsanwalt eines anderen Mitgliedstaats (anordnender Staat) angeordnet wurde. Nach der Entscheidung des EuGH darf sich die richterliche Kontrolle in dem ausführenden Staat dabei nur auf die Vollstreckung der Maßnahme beschränken, nicht auf die inhaltliche Begründung der Maßnahme.
Bei Strafverfahren, die von der EUStA geführt werden, haben wir es immer mit hohen Schadenssummen und – durch den grenzüberschreitenden Charakter, aber auch Digitalisierungsproblemen – vielsprachigem Beweismaterial und lange Ermittlungsdauern zu tun. Das häufigste von der EUStA in Deutschland verfolgte Delikt, der Umsatzsteuerbetrug, ist aber in den (nationalen) Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Wirtschaftskriminalität altbekannt. Auch wenn weitere Entscheidungen des EuGH erst mit den Jahren erwartet werden, laufen derzeit bereits zahlreiche, von den Delegierten Europäischen Staatsanwälten geführte Strafverfahren. Wir haben sowohl in Ermittlungsverfahren, als auch im Hauptverfahren, also einer strafgerichtlichen Hauptverhandlung schon zum Teil langwierige und immer mit sehr hohen Schadenssummen verbundene EUStA-Verfahren verteidigt und stehen gerne im Verteidigerteam zur Seite.
