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Reform der Strafprozessordnung – Expertenkommission des BMJV

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat im September 2025 eine Expertenkommission zur Reform der Strafprozessordnung (StPO) eingesetzt. Ziel ist es, das Strafverfahren effizienter, moderner und zugleich rechtsstaatlich ausgewogen zu gestalten. Die Kommission, bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft, Justiz, Anwaltschaft und Praxis, arbeitet in sechs thematisch gegliederten Arbeitsgruppen an konkreten Reformvorschlägen.

Rechtsanwältin Gül Pinar ist in die Arbeitsgruppe 5, welche sich mit dem Thema Beweisaufnahme im Strafverfahren befasst, berufen. Die bestehenden Regelungen der §§ 244 ff. StPO sind in weiten Teilen noch auf analoge Verfahrensabläufe zugeschnitten und stoßen angesichts digitaler Kommunikations- und Aufzeichnungsmöglichkeiten zunehmend an ihre Grenzen. Entsprechend besteht erheblicher Reformbedarf. Im Zentrum der Beratungen stehen Fragen der Modernisierung der Beweisaufnahme und der zeitgemäßen Dokumentation der Hauptverhandlung. Behandelt werden unter anderem:

  • die Einführung audiovisueller Beweisaufnahmen, insbesondere bei Zeugenaussagen und richterlichen Vernehmungen. Diskutiert wird die Einführung von Videoaufzeichnungen insbesondere bei Zeugenaussagen und richterlichen Vernehmungen, um Beweisvorgänge dauerhaft nachvollziehbar und revisionsfest zu dokumentieren;
  • das Selbstleseverfahren. Diese Verfahren sollen an die Erfordernisse elektronischer Aktenführung angepasst werden, damit digitale Beweismittel – etwa Bild-, Video- und Audiodateien – effizient und rechtssicher in die Hauptverhandlung eingebracht werden können;
  • die Erweiterung der Verlesungs- und Bezugnahmemöglichkeiten;
  • die Überarbeitung und Neugestaltung des Beweisantragsrechts zur Verbesserung der Verfahrenseffizienz. Ziel ist eine Reform des Beweisantragsrechts, die missbräuchliche oder taktisch motivierte Beweisanträge erschwert, zugleich aber die Verteidigungsrechte und das Prinzip der Waffengleichheit wahrt;
  • die Übersetzung bei fremdsprachigen Urkunden (Verzicht/Einsatz von KI). Diskutiert wird, inwieweit KI-gestützte Übersetzungstools die Arbeit mit fremdsprachigen Beweismitteln erleichtern können, ohne die inhaltliche Genauigkeit und prozessuale Verwertbarkeit zu gefährden;
  • die Möglichkeiten des Verzichts auf Beweisaufnahmen im Einverständnis der Beteiligten. Bei unstreitigen Sachverhalten auf bestimmte Beweiserhebungen zu verzichten, soll Verfahrensdauer und Ressourcenverbrauch reduzieren, ohne den Grundsatz des fairen Verfahrens zu beeinträchtigen.

Erklärtes Ziel des BMJ ist es, ein modernes, praxistaugliches und zugleich rechtsstaatlich abgesichertes System der Beweiserhebung zu entwickeln, das den Anforderungen einer digitalisierten Justiz gerecht wird.

Wir freuen uns, dass in den Arbeitsgruppen jeweils auch Vertreterinnen und Vertreter der Anwaltschaft berufen wurden. Sie werden versuchen, sicherzustellen, dass die Modernisierung der Strafprozessordnung nicht auf Kosten der Beschuldigtenrechte betrieben wird. Dazu gehört unserer Meinung nach zwingend die audiovisuelle Aufzeichnung der Hauptverhandlung. Gül Pinar wird ihre praktische Erfahrung aus über 25 Jahren forensischer Tätigkeit als Strafverteidigerin in die Kommission und den Reformprozess einbringen. Diese konnte sie nicht zuletzt beim Deutschen Juristentag 2024 als Referentin im Strafrechtsausschuss teilen; dort war zentrales Thema die Verwertbarkeit digitaler Beweismittel im Strafprozess.

Die Arbeit der Reformkommission ist auf rund ein Jahr angelegt. Die Ergebnisse sollen im Herbst 2026 vorliegen und in einen Gesetzentwurf zur Modernisierung der Strafprozessordnung münden. Die Überarbeitung der Vorschriften zur Beweisaufnahme bietet die Chance, den deutschen Strafprozess an die Anforderungen der Gegenwart anzupassen – technisch fortschrittlich, aber weiterhin fest im rechtsstaatlichen Fundament verankert.

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